Warum kommt mein Zug zu spät?

„Informationen zu RE1 nach Hamm. Abfahrt 7.20 Uhr. Heute ca. 20 Minuten später. Grund dafür ist die Verspätung eines vorausfahrenden Zuges.“ Für Bahnfahrer ein vertrauter Satz. Doch woran liegt es eigentlich, dass die Bahn so unpünktlich ist? Die FH-Professoren Bernd Schmidt, Haldor Jochim und Ingo Elsen geben Antworten auf diese Frage.

FutureMag: Umweltfreundlich und sicher — die Schiene hat Zukunft. Und doch ist sie ein ständiger Aufreger, vor allem wegen der Verspätungen.

Jochim: Also der Fernverkehr ist mittlerweile schon dramatisch schlecht. Der Nahverkehr ist deutlich besser.

FutureMag: Die Deutsche Bahn AG bestätigt das sogar. Anfang des Jahres hat der Konzern bekanntgegeben, dass 2018 eine durchschnittliche Jahrespünktlichkeit von fast 75 Prozent im Fernverkehr und 94 Prozent im Nahverkehr erreicht wurden.

Elsen: Ein großes Problem ist: Die Verspätungsinformationen stimmen oft nicht. Mein persönliches Erlebnis: Ich stehe am Hauptbahnhof. Der ICE aus Brüssel wird verspätet angekündigt, 10 Minuten, 25 Minuten, 45 Minuten. Die Gäste verlassen den Bahnsteig, und auf einmal kommt der Zug dann doch nur mit 10 Minuten Verspätung. Kaum einer bekommt die Durchsage mit, und 30 genervte Geschäftsreisende verpassen den Zug. Das ist zwar in letzter Zeit dank des neuen Prognosesystems besser geworden, doch das eigentliche Problem ist nicht gelöst.

FutureMag: Und worin sehen Sie die Gründe für verspätete Züge?

Jochim: Der Hauptgrund für Verspätungen sind Verspätungen. Das betrifft auf jeden Fall über die Hälfte der verspäteten Züge. Warum die vorausfahrenden Züge aber wiederum verspätet sind, kann man oft nicht mehr nachvollziehen. Ein Grund dafür ist aber mit Sicherheit, dass heute viel mehr Züge fahren als vor 20 bis 30 Jahren.

Elsen: Genau, es handelt sich unter anderem um eine Frage der Kapazität des Netzes…

Jochim: …und das hat nicht Schritt gehalten.

Schmidt: Es rührt aber auch von Managementproblemen her, von Materialproblemen oder auch von politischen Weichenstellungen. Hinzu kommt die Fragmentierung der Arbeit: Die Fahrgastinformationen werden von der einen Gesellschaft erstellt, die Gleise von einer anderen, die Wagenumlaufplanung von einer dritten und die Wartung der Züge von einer vierten.

Elsen: Plus: Die Systeme für die Reiseinformationen werden aus verschiedensten anderen Systemen gespeist. Da eine einheitliche Sicht auf alle Daten zu bekommen, ist eine große Herausforderung.

FutureMag: Helfen digitale Ansätze nicht weiter?

Schmidt: Wenn ich ein System habe und versuche, den Menschen rauszunehmen, dann muss ich erst mal schauen: Was hat zum Beispiel der Bediener des Stellwerks hier gemacht? Als das Stellwerk des Aachener Hauptbahnhofs nach Duisburg verlagert wurde, haben wir etwa 15 Prozent Leistungseinbuße gehabt. Und zwar nur dadurch, dass der Stellwerker in Duisburg die einfahrenden Züge nicht mehr sieht und genauso wenig, wie viele Personen auf dem Bahnsteig stehen und wie sinnvoll ein Gleiswechsel in Anbetracht dessen wäre.

Elsen: Hinzu kommt, dass ich die Kapazität, wenn sie schon an der Grenze ist, nur schwer besser auslasten kann. Und das ist ein Problem, das Digitalisierung im ersten Moment gar nicht löst. Wenn ich erfahrene Leute habe, die die Züge durchwinken, sobald es geht, dann muss ich diese Erfahrungen erst mal als Daten verarbeiten und in ein System einspeisen. Es gibt Fälle, die zu kompliziert sind, um sie abzubilden.

FutureMag: Die Bundesregierung nimmt sich in ihrem Koalitionsvertrag vor, die Anzahl der Zuggäste bis 2030 zu verdoppeln. Ist das realisierbar?

Elsen: Das ist eher ein Projekt für die nächsten 25 Jahre, da sind wir uns, glaube ich, alle einig. Allerdings verstehe ich nicht, wie sich jemand in der Politik dazu hinreißen lassen kann zu sagen, ich möchte doppelt so viele Leute auf die Schiene bringen, und nicht zu sagen, dass er dafür in den nächsten 15 Jahren 100 Milliarden Euro in die Hand nehmen muss. Denn das wird es kosten.

Schmidt: Meiner Meinung nach wird es darauf hinauslaufen, im Fernverkehr mit Doppelstöckern zu arbeiten — das haben die Franzosen sehr erfolgreich gemacht.

FutureMag: Wie bereiten Sie Ihre Studierenden auf Themen dieser Art vor?

Schmidt: Offenbar so, dass unsere Absolventen gute Berufsaussichten haben. Unsere Leute, die hier rauskommen, sind mit einem Faktor von 3 bis 4 überbucht.

Jochim: Also ich träume schon lange von dem interdisziplinären Studiengang Mobilität…

Elsen: Das das fände ich auch toll! Denn das ist eines der gesellschaftlichen Themen der nächsten 30 Jahre.

 

19.08.2019