Rätselkönig

Heinrich Hemme Foto_FH Aachen_Thilo Vogel

Was haben Karl der Große, ein Kohlkopf und Denksport gemeinsam? Der Aachener Professor Heinrich Hemme ist Unterhaltungsmathematiker und kennt die Antwort.

Herr Hemme, für viele ist Mathematik an sich rätselhaft. Aber was genau ist ein mathematisches Rätsel?

Vor über viertausend Jahren wurde aus rein praktischen Gründen in Ägypten und in Mesopotamien die Mathematik entwickelt. Löhne, Steuern, Getreidemengen, Reisedauern und Grundstücksgrößen mussten schnell und zuverlässig berechnet werden können. Dabei merkten die Menschen, wie viel Vergnügen es bereiten kann, knifflige Probleme zu lösen. Schon bald wurden mathematische Aufgaben erfunden, die keinen anderen Zweck hatten, als der geistig anspruchsvollen Unterhaltung zu dienen. Das war dann die mathematischen Rätsel.

Was fasziniert Sie an mathematischen Rätseln?

Ein kniffliges Problem endlich gelöst zu haben oder einen eleganten und kurzen Lösungsweg von eine schwierigen Aufgabe gefunden zu haben, ist für mich ein Genuss wie gutes Essen oder ein edler Wein.

Dann frisst der Wolf die Ziege

Sie sind ja nicht der erste Aachener, der ein berühmter Unterhaltungsmathematiker ist.
Ich weiß, worauf Sie anspielen, auf Alkuin von York, der einige Jahre die Hofschule Kaiser Karls des Großen leitete. Von ihm heißt es, er habe die Propositiones ad acuendos iuvenes, geschrieben, eine Sammlung von mathematischen Denksportaufgaben. Allerdings gibt es keine belastbaren Hinweise darauf, dass er sie tatsächlich schrieb. Der Autor dieses Manuskripts ist unbekannt.

Dann sind Sie also möglicherweise einzigartig. Wie viele Rätsel hat Alkuin denn vermeintlich aufgegeben?

In den Propositiones stehen 53 Aufgaben. Eine davon ist das bekannte Rätsel von der Ziege, dem Wolf und dem Kohlkopf. Fast jeder kennt es, aber kaum jemand ahnt, dass es schon älter als 1.200 Jahre ist. Sie erinnern sich? Ein Mann muss einen Wolf, eine Ziege und einen Kohlkopf über einen Fluss bringen. Er findet ein Boot am Ufer, das nur ihn und ein Tier oder ihn und den Kohlkopf tragen kann. Lässt er die Ziege und Wolf alleine an einem Ufer zurück, so frisst der Wolf die Ziege. Lässt er hingegen den Kohlkopf und die Ziege allein zurück, so frisst die Ziege den Kohlkopf. Wie kann er den Wolf, die Ziege und den Kohlkopf unbeschadet über den Fluss bringen?

Welches ist Ihr Lieblingsrätsel?
Ich habe eine ganze Menge Lieblingsrätsel. Hier ist eines davon: Stellen Sie sich vor, wir stünden an einem Ostersonntag im belebten Aachener Hauptbahnhof, und ich böte Ihnen folgende Wette an: „Ich wette um hundert Euro, dass mindestens eine der nächsten zehn Personen, die die Bahnhofshalle betreten, überdurchschnittlich viele Arme hat.“ Nähmen Sie die Wette an?

Mmh, wie lautet denn die Lösung?
Normalerweise hat der Mensch zwei Arme, aber es gibt auch einige Leute, die durch einen Unfall, durch Krieg oder aus irgendeinem anderen Grund einen Arm oder sogar beide Arme verloren haben. Diese Leute drücken die durchschnittliche Armzahl pro Mensch von zwei auf etwas unter zwei. Ist also unter den nächsten zehn Personen, die den Bahnhof betreten, wenigstens eine, die zwei Arme hat, und das ist sehr wahrscheinlich, so hat sie überdurchschnittlich viele Arme, und ich hätte die Wette gewonnen.


Heinrich Hemme, 64, ist Professor für Physik an der FH Aachen. Weit über Aachen hinaus bekannt gemacht haben ihn seine Denksportkolumne Cogito in der Zeitschrift Bild der Wissenschaft, seine Mathematischen Rätsel auf spektrum.de und zahlreiche populärwissenschaftliche Bücher über Mathematik und Physik.

14.09.2020