Erforschung der Natur

Die Ordnung der Dinge: Gleich zwei Ausstellungen in Aachener Museen widmeten sich den Themen Sammeln, Sortieren und Klassifizieren. Die Bürgerliche Kunstkammer ist dauerhaft zu sehen

Sammelnd eignen Menschen sich Wissen über die Welt an. Die Kunst- und Wunderkammern der Frühen Neuzeit boten Stoff zum Staunen über die alles umfassende „göttliche Schöpfung“, die in ihren wundersamsten und vollkommensten Ausformungen aus den Bereichen der Natur zusammengetragen wurde. Das Jahrhundert der Aufklärung trennte die Wissensräume und legte neue Maßstäbe an. Anstelle auratischer Einzelstücke standen im Zentrum der Bewunderung Vielzahl, Vollständigkeit und strenge Systematik der Sammlungen. Mit dem Wandel der Ordnungen wandelten sich auch das Wissen und die Erzählungen über unsere Welt.

Das zeigten zwei Ausstellungen in Aachen unter dem gemeinsamen Obertitel „Weltensammler“ eindrücklich: das Couven Museum mit einer Ausstellung früher Naturaliensammlungen und das Suermondt-Ludwig-Museum mit seiner neuen „Bürgerlichen Kunstkammer“, die nach Ende der Erstpräsentation fester Bestandteil der Dauerausstellung im Haus an der Wilhelmstraße geworden ist.

Präparate aus alten Lehrsammlungen der RWTH
Käfer und Conchylien, Herbarien und Saurier-Präparate: Die Ausstellung „Die Erforschung der Natur. Frühe naturkundliche Sammlungen – Von der Liebhaberei zur Wissenschaft“ im Couven Museum versammelte mehr als 400 beeindruckende Stücke aus frühen wissenschaftlichen Sammlungen, so zum Beispiel aus Kollektionen wissensdurstiger Großbürger oder aus Lehrsammlungen der RWTH. Kuratorin Gisela Schäffer knüpfte an das legendäre Kunst- und Naturalienkabinett des Aachener Färbereibesitzers Hermann Isaak von Außem an, dessen Besuch sich selbst gekrönte Häupter auf ihrer Reise in die Kaiserstadt um 1800 nicht nehmen ließen. Alte Sammlungsbestände und neue Forschungen warfen Schlaglichter auf die Geschichte der Naturwissenschaft zwischen dem späten 18. Jahrhundert und heute.

Meeresschnecken aus einer fürstlichen Sammlung
Die Conchylien – also die Schalen von Schnecken und Muscheln – der hoch gebildeten Karoline Luise von Baden aus dem Staatlichen Naturkunde Museum Karlsruhe verweisen noch auf die enzyklopädischen Sammlungen der aufgeklärten Fürstenhöfe. Ebenfalls aus einem herzoglichen Museum ging unter Johann Wolfgang von Goethe und dem Zoologen Ernst Haeckel das Phyletische Museum in Jena hervor, wo man auch heute an vorderster Stelle zur Evolutionsbiologie der hier beispielhaft gezeigten Käfer und Schmetterlinge forscht.

Auch zu Gast: Ein 150 Millionen Jahre alter Flugsaurier
Eine Kostprobe der derzeitigen Saurier-Forschung trug eines der ältesten Museen des Rheinlands zur Ausstellung bei, das universitäre Bonner Steinfuß-Museum für Paläontologie, das auf dem alten Akademiebestand der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina fußt. Der in jurazeitlichen Plattenkalken gefundene kleine Flugsaurier Scaphognathus crassirostris, der vor etwa 150 Millionen Jahren seine Kreise durch die Lüfte zog, zählte zu den Highlights im Couven Museum.

Das Rheinische Herbar versammelt akribisch dokumentierte Pflanzen
Seltene Einblicke wurden auch gewährt in die kaum bekannten historischen Lehrbestände der RWTH Aachen aus den Bereichen Mineralogie, Geologie, Zoologie und Botanik, die Generationen von Studenten das Staunen über ihr Lern- und Forschungsgebiet lehrten. Mit dem Rheinischen Herbar schließlich war eine bis heute wissenschaftlich einschlägige botanische Sammlung zu sehen, die ebenfalls ihren Ausgangspunkt dem bürgerlichen Wissensdurst und Sammlungseifer des 19. Jahrhunderts verdankt und deren bleibende Bedeutung nicht zuletzt in der akribischen Dokumentation schon längst verschwundener Arten besteht.

Die neue „Bürgerliche Kunstkammer“
Chinesische Wunderkugeln, eine ägyptische Mumie und der kostbare Lobkowitzsche Kaiserpokal – es ist schon eine höchst erstaunliche Sammlung, die Aachens Bürger seit dem späten 19. Jahrhundert zusammengetragen haben. Sogar ein schmiedeeiserner spätgotischer Hundemaulkorb ist darunter.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Diese wunderliche Zusammenstellung hat System. Viele Sammler des 19. Jahrhunderts wollten die Welt in ihrer Gesamtheit abbilden und sammelten daher Objekte aus allen Bereichen. Fundstücke aus der Natur standen gleichberechtigt neben artifiziellen Kunststücken, Fossilien neben griechischen Vasen, Kopien neben Originalen. Auf Vollständigkeit kam es an, nicht unbedingt auf Authentizität. Jahrzehntelang schlummerten diese Schätze im Kellerdepot des Suermondt-Ludwig-Museums.

Michael Rief, Kustos der städtischen Sammlungen, hat einen Teil von ihnen gehoben. Er hat im ersten Stock des Suermondt-Ludwig-Museums eine „Bürgerliche Kunstkammer“ eingerichtet. Vorbild sind die Kunst- und Wunderkammern von Herrschern, Fürsten und Gelehrten der Renaissance und der Barockzeit, in denen kostbare Kunstwerke (Artificialia), seltene Naturalien (Naturalia), wissenschaftliche Instrumente (Scientifica), Objekte aus fremden Ländern (Exotica) und wundersame Dinge (Mirabilia) präsentiert wurden. Sie waren eine Demonstration der Macht und des Reichtums des Besitzers und spiegelten den aktuellen Wissensstand über die Welt und die Ordnung der Dinge wider – als Weltausstellung en miniature. Obligatorisch waren das präparierte Krokodil und der ausgestopfte Hai, die von der Decke hingen. In Aachens „Bürgerlicher Kunstkammer“ gibt es auch einige Exemplar zu sehen. Dafür hat Michael Rief gesorgt.

 

Neue Dauerausstellung
Suermondt-Ludwig-Museum
Wundern und staunen
Die „Bürgerliche Kunstkammer“

Wilhelmstr. 18, 52070 Aachen
Tel.: +49 241 47980-40, Fax: +49 241 37075
www.suermondt-ludwig-museum.de

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Couven Museum
„Die Erforschung der Natur. Frühe naturkundliche Sammlungen – Von der Liebhaberei zur Wissenschaft“

19. November 2016 – 26. März 2017
Hühnermarkt 17, 52062 Aachen
Tel.: +49 241 432-4421, Fax +49 241 432-4959
www.couven-museum.de