Haben Sie den Brexit kommen sehen?

Die Briten haben 2016 entschieden, die Europäische Union zu verlassen. Doch drei Jahre später ist immer noch kein geordneter Brexit in Sicht. Die Frist läuft derzeit am 31. Oktober aus. Prof. Dr. Hans Mackenstein, Wirtschaftswissenschaftler an der FH Aachen, spricht über seine Zeit als Student in Großbritannien, den Brexit und warum die Briten das Unmögliche wollen.


FutureMag: 1989 sind Sie als einer der ersten Aachener Studenten an die Coventry University gegangen, eine Partnerhochschule der FH. Hat es Ihnen gefallen?
Mackenstein: Es hat mich ein großes Stück weitergebracht, ich habe internationale Erfahrung gesammelt, neue Freunde gefunden und mich persönlich weiterentwickelt. Nach meinem Doppel-Abschluss in BWL und angewandter Volkswirtschaftslehre habe ich einen Master in internationaler Wirtschaftspolitik an der University of Birmingham gemacht und dann einen Promotionsplatz an der Universität in Leicester gefunden. Insgesamt habe ich zehn Jahre in Großbritannien gelebt.

FutureMag: Gab es damals schon Vorzeichen, dass es einmal zum Brexit kommen würde?
Mackenstein: Nein, ich habe ein ganz anderes Großbritannien in meiner Wahrnehmung abgespeichert. Anfang der 1990er habe ich in Leicester gewohnt, wie Coventry und Birmingham eine ursprünglich industriell geprägte Stadt, in der schon lange viele ethnische Minderheiten gelebt haben. Die Menschen dort waren sehr herzlich, freundlich und tolerant. 1996 bin ich nach Cardiff gezogen, die Hauptstadt von Wales. Dort habe ich die Menschen eher reserviert in Erinnerung, jedoch nicht ausländerfeindlich oder rassistisch.

FutureMag: Warum haben die Briten für den Austritt aus der EU gestimmt?
Mackenstein: Ich denke, die sogenannte Osterweiterung war ein Grund dafür. 2004 sind gleich zehn neue Staaten in die EU eingetreten, 2007 kamen die relativ armen Länder Rumänien und Bulgarien dazu. Die Briten haben viele derjenigen aufgenommen, die in die Arbeitsmärkte des „Westens“ wollten. Das scheint etwas in den Köpfen vieler Briten ausgelöst zu haben. 2008 kam es dann auch noch zur großen Finanzkrise, die dazu geführt hat, dass die Regierung einen harten Sparkurs fuhr. Fruchtbare Zeiten für den Populismus. Als es zur Brexit-Entscheidung kam, hat das politische Magazin „The Economist“ analysiert, dass die Regionen, in denen sich die Menschen besonders stark für den Brexit ausgesprochen haben, diejenigen waren, in denen der Anteil der Zuwanderung in kurzer Zeit relativ schnell gestiegen war. Eine deutlich spürbare Veränderung, die die Menschen offenbar überfordert hat.

FutureMag: Mit welchen Folgen müssen die Briten rechnen, wenn es zum Brexit kommt?
Mackenstein: Die Briten wollen austreten, zugleich aber alle Vorzüge einer Mitgliedschaft behalten. Meiner Meinung nach zeigen sie sich da nicht ganz einsichtig. Sie möchten eine Sonderrolle, und die anderen Mitgliedsstaaten wollen sie ihnen in diesem Ausmaß nicht geben. Die Entscheidung wird meiner Meinung nach weitreichende Konsequenzen haben – nicht nur, aber vor allem, für Großbritannien. Einige Entwicklungen finden ja bereits statt, wie der Kursverfall des Britischen Pfunds oder die Abwanderung internationaler Unternehmen, was zu Arbeitsplatzverlusten führen wird. Die Wirtschaft wird schrumpfen.

FutureMag: Werden weiterhin Studierende aus Aachen in Großbritannien ihren Doppelabschluss machen?
Mackenstein: Davon gehe ich aus. Allerdings wird es umständlicher werden, denn es fallen nach einem Austritt für das Vereinigte Königreich höchstwahrscheinlich höhere Studiengebühren an, und es müssen möglicherweise Visa oder Aufenthaltsgenehmigungen eingeholt werden. 

11.06.2019