Lassen sich Nutzpflanzen impfen?

RWTH-Biologen wollen die Immunität von Pflanzen stärken. Profitieren soll zum Beispiel die Zuckerrübenproduktion im Rheinischen Revier.

„Rund 40 Prozent der Erträge an Nutzpflanzen gehen durch Schädlinge und Krankheiten verloren“, sagt RWTH-Professor Uwe Conrath, Leiter des Lehr- und Forschungsgebiets Biochemie und Molekularbiologie der Pflanzen. Um diese Zahl zu senken, wird an der RWTH die systemisch erworbene Resistenz, eine Komponente des pflanzlichen Immunsystems, erforscht. Sie kann durch eine moderate Erstinfektion provoziert werden – ähnlich der Impfung beim Menschen.

Abwehrpriming der Pflanzen nutzen

Schon vor Jahren prägte Conrath den Begriff Abwehrpriming: Er hatte entdeckt, dass eine pilzinfizierte Gurkenpflanze eine Resistenz nicht nur gegen diesen bestimmten Pilz, sondern gegen ein breites Spektrum von Pilzen, Bakterien, Viren und abiotische Stressfaktoren entwickelte. Der Kontakt mit dem Krankheitserreger versetzt die Zellen in einen Alarmzustand. Die Pflanze synthetisiert beispielweise Eiweißmoleküle, die dann in ihrem gesamten Organismus schlummern und nur bei einem erneuten Angriff sehr stark aktiviert werden. Deshalb ist das Priming, die Sensibilisierung nach einer Erstinfektion, eine überaus energieeffiziente Reaktion: Sie wird nur im Ernstfall eingeschaltet und hemmt die Pflanzen nicht in ihrem Wachstum und Ertrag.

Gemeinsam mit Chemikern und Verfahrenstechnikern der RWTH wurden teilweise automatisierte Prüfsysteme entwickelt, um Stoffe aufzufinden, die das Abwehrpriming in Pflanzen hervorrufen. Ein System nutzt etwa die Eigenschaft der Petersilie, fluoreszierende Verbindungen zu produzieren, die eine Aktivierung der Abwehrreaktion anzeigen. Die Petersilienzellkultur leuchtet im UV-Licht besonders stark, wenn ein Wirkstoff ihr Immunsystem scharf stellt. „Was bei der Petersilie wirkt, ist auch bei anderen Pflanzen möglich“, versichert Conrath.

Rübenforschung für den Strukturwandel im Revier

Zuckerrüben sind ein weiteres Forschungsobjekt des Lehr- und Forschungsgebietes. Mit dem Klimawandel ist ein neuer Krankheitserreger eingewandert: Die Schilf-Glasflügelzikade saugt an den Blättern und überträgt ein Protobakterium, welches das Syndrome Basses Richesses verursacht, kurz SBR genannt. Die Rüben werden kleiner, faulen schneller und haben einen niedrigen Zuckergehalt.

Das Rheinische Revier ist eines der Hauptanbaugebiete der Zuckerrübe in Deutschland. Die Region will nach dem Ende von Kohleabbau und -verstromung unter anderem auf eine moderne und nachhaltige Landwirtschaft setzen. „Viele Arbeitsplätze sind von der Rübe abhängig“, betont Conrath, „dies macht unsere Forschung so bedeutend für den Strukturwandel im Revier.“

23.12.2020