Von Aachen ins Silicon Valley

Als Kind arabischer Eltern in Deutschland hat RWTH-Absolvent Hassan Sawaf schon früh festgestellt, wie schwer es ist, Wörter von der einen in die andere Sprache zu übersetzen. Er studierte Informatik, setzte sich intensiv mit Spracherkennung auseinander und tüftelte an technologischen Lösungen von Übersetzungsproblemen. Heute lebt und arbeitet Sawaf im Silicon Valley – und hat gute Tipps für Start Ups in petto.

 

FutureMag: Herr Sawaf, als Sie im Jahr 2000 Ihr erstes Start Up gegründet haben, gab es noch kein Netzwerk von beratenden Institutionen und Geldgebern wie heute das RWTH-Gründerzentrum oder die GründerRegion. Woher haben Sie damals das notwendige Know how und Unterstützung bekommen?

Sawaf: Einige Mitarbeiter und damalige Promotionsstudenten haben mit mir zusammen schon 1998 die Vision gehabt, dass wir an der Uni an richtig tollen Sachen arbeiten, mit einem gewaltigen kommerziellen Potenzial: die Technologie, aus Audiodaten Sprache zu erkennen, eine andere Technologie, die erlaubt, Sprache zu verstehen und zu interpretieren, und eine dritte, die es möglich macht, Texte automatisch zu übersetzen. Im Jahr 2000 haben wir dann die Firma AIXPLAIN AG gegründet, die diese Technologie als Geschäftsidee umgesetzt hat.

Die ersten Schritte der Firmengründung und -führung waren nicht einfach. Ich hatte jedoch schon vorher Erfahrung sammeln können, beispielsweise als Mitgründer der ACME Computer GmbH in Eschweiler, als Mitarbeiter der Catch Computer GbR und als führender Mitarbeiter der GESYCOM GmbH. Außerdem habe ich auch regelmäßig den Rat von erfahrenen Firmengründern gesucht.

FutureMag: Haben Ihnen das Wissen und die Erfahrungen aus Ihrer Zeit an der RWTH dabei geholfen?

Sawaf: Von der Technologie und dem Technologiemanagement her gesehen, war die Erfahrung dort von fundamentaler Bedeutung. Bis heute halte ich die Pflege der Verbindung zur RWTH für äußerst wichtig. Die gute theoretische Ausbildung der Studierenden in Kombination mit den Praktika ist sehr wertvoll. Und mein damaliger Doktorvater Professor Hermann Ney war auch ein wertvoller Mentor für mich. Er war von Anfang an Mitglied des Aufsichtsrates der Firma und hat mir geholfen, nicht den Überblick zu verlieren.

FutureMag: Im letzten Sommer sind Sie von eBay zu Amazon gewechselt, als Director of Artificial Intelligence. Was sind Ihre Aufgaben?

Sawaf: Wir wollen Reibungsverluste in der alltäglichen Nutzung minimieren. Dazu müssen wir verstehen, was der Kunde will, in welchem Kontext er bestimmte Sachen von Amazon erwartet, vielleicht sogar vorhersehen können, woran er demnächst Interesse haben könnte. Wir wollen auch Prozesse innerhalb des Amazonsystems optimieren, um Kosten zu sparen. Das erlaubt uns, die besten Angebote zu machen. Auch wollen wir die Kommunikation zwischen dem Nutzer und den Produkten und Services von Amazon menschlicher machen.

FutureMag: Was meinen Sie damit?

Sawaf: Bis vor kurzem wurde die Interaktion mit Amazon – wie bei den meisten Suchmaschinen – vornehmlich mit Schlüsselwörtern initiiert, die man in ein Textfeld eintippt. Der Nutzer musste lernen, seine Wünsche so zu formulieren, dass er die möglichst besten Resultate für seine Anfrage findet. Das kann sehr mühsam sein. Menschliche Kommunikation enthält natürliche Sprache, enthält im weiteren Rahmen auch Bilder. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass man sagt: Ein Bild mehr sagt als 1000 Worte. Die Kommunikation zwischen Menschen nutzt immer einen weiteren Kontext, den wir sehen, hören, und woran wir uns erinnern. Unsere Alexa (Sprachsteuerung im Lautsprechersystem Echo von Amazon, Anm. d. Red.) zeigt, wo wir hinwollen, auch die visuelle Objekterkennung in der Amazon App auf iPhone und Android Handys tun das.

Künstliche Intelligenz als Bildungsaufgabe

FutureMag: Digitalisierung und Künstliche Intelligenz – da sind viele Menschen skeptisch, hinsichtlich Datenschutz und ethisch-moralischer Herausforderungen…

Sawaf: Ich stimme zu, dass die Künstliche Intelligenz Gefahren ethisch-moralischer Natur mitbringt und dass es für uns als Forscher klar sein muss, dass dieses Thema berücksichtigt wird. Es müssen verschiedene Leute wie etwa Techniker, Wissenschaftler, Philosophen, Anwälte, Politiker und Ökonomen zusammenkommen und Policen, Regulierungen und Plattformen schaffen, um positive Potenziale zu maximieren und Gefahrenpotenziale zu minimieren. Um diese Diskussion effektiv zu gestalten, sind Bildung und offene Kommunikation vonnöten. Ein erster Schritt auf diesem Weg sind Initiativen wie „OpenAI“, die sich der Demokratisierung der Künstlichen Intelligenz verschrieben hat. Amazon ist im Konsortium der OpenAI. Wenn wir sichergehen, dass die Regulierungen und Plattformen passend gemacht werden, glaube ich, dass die positiven Seiten weitaus überwiegen.

FutureMag: Sie sagten einmal, dass sich zum Thema Bildung viele zu wenig Gedanken machen.

Sawaf: Ich hoffe, dass eines Tages die Grundlagen der Künstlichen Intelligenz und die darunterliegenden mathematischen Grundlagen in Schule und Studium Eingang finden. Ich hoffe ebenfalls, dass die Nutzung der Werkzeuge immer mehr vereinfacht wird, so dass nicht nur Spezialisten damit Lösungen finden können. Wenigstens da sind wir schon auf dem besten Weg. Plattformen werden von Amazon, Google, Microsoft und anderen zur Verfügung gestellt, und die Entwicklung dieser Plattformen ist offen. Viele Wissenschaftler innerhalb und außerhalb der Unternehmen tragen dazu bei, sie weiterzuentwickeln.

FutureMag: Sie arbeiten schon seit einigen Jahren im Silicon Valley und kennen die Unternehmen dort sehr gut. Was macht sie so erfolgreich?

Sawaf: Viele Komponenten spielen da eine Rolle. Etwa die Firmenkultur: Es besteht mehr Bereitschaft zum Risiko. Viele erfolgreiche Firmen betrachten es eher negativ, wenn nicht ein bestimmter Anteil von – ernst und gut ausgeführten – Initiativen fehlläuft. Dann werden das eingegangene Risiko als zu niedrig und die Innovationsbereitschaft als zu gering bewertet.

Die Hierarchien sind sehr flach. Auch Firmen mit 50.000 Mitarbeitern haben häufig nur fünf oder sechs Management-Ebenen. Vorstandsvorsitzende sprechen gerne mit Leuten, die frische Ideen haben, auch wenn sie gerade aus der Universität kommen. Das Konzept des kontinuierlichen Lernens ist bei jedem tief verwurzelt. Die Erfahrung zeigt ja, dass Besserung häufig eintritt, wenn man mit anderen Augen auf ein Problem schaut. Die neuronalen Netze für Spracherkennung und Bildverarbeitung sind für mich das Paradebeispiel.

Firmen sehen nicht nur den Wert eines Mitarbeiters, der Manager ist, sondern respektieren die sogenannten „Individual Contributors“ sehr. Sie sind häufig die wichtigsten Mitarbeiter für Softwarefirmen und werden entsprechend wertgeschätzt – und bezahlt. Manager sind eher leitende Mitarbeiter und Mentoren als Chefs – „Leader“ versus „Boss“. Das heißt, die Mitarbeiter sollen sich an der Entscheidungsfindung beteiligt sehen, das hilft ihnen, das „Ownership“-Gefühl mit den leitenden Mitarbeitern zu teilen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Finanzierung durch Kapitalgeber, also Venture Capital und Investition. Die VCs sind häufig nicht nur Banker, sondern ehemals erfolgreiche Unternehmer. Das hilft die Kommunikation zwischen Geldgeber und Geldnehmer zu vereinfachen, und erlaubt VCs auch, sich etwas mehr aus dem Fenster zu lehnen. Die Erfahrung zeigt, dass das die besten Investoren und die besten Investitionen sind.

Standfestigkeit ist gefragt

FutureMag: Welche Eigenschaften sollte ein junger Existenzgründer idealerweise mitbringen?

Sawaf: Zunächst Selbstsicherheit. Das bedeutet natürlich nicht nur selbstsicheres Auftreten, man muss auch wissen, wovon man redet. Ebenso ist Lernbereitschaft zu nennen. Die Welt bewegt sich so schnell, dass man beim Lernen nicht schnell genug sein kann.

Auch wichtig: ein Teamplayer sein. Kein Mensch kann alles, aber man kann immer ein hochmotiviertes Team zusammenbringen, das viele Aspekte abdeckt. Das Team sollte gegenseitige Loyalität zeigen. Das ist zusammen mit der Motivation wichtiger, als die besten Wissenschaftler oder Techniker zu haben.

Für eine erfolgreiche Existenzgründung ist auch Standfestigkeit gefragt. Selbst wenn jemand eine ähnliche, vielleicht sogar bessere Lösung hat, kann man daraus lernen. Meistens ist es sinnvoll weiterzumachen. Man kann die Konkurrenzsituation als Bestätigung dafür sehen, dass man wahrscheinlich auf dem richtigen Pfad ist.

Und nicht zuletzt: lesen, lesen, lesen. Papers, Nachrichten, Bücher. Ich für meinen Teil tue das jeden Tag. Information is King. Nicht nur für Künstliche Intelligenzen, sondern – und mehr – für uns. Und es ist gut, auch über den Tellerrand zu schauen. Meine erste positive Erfahrung, aus fremden Forschungsgebieten zu lernen, war meine Beschäftigung mit Thermodynamik Mitte der 1990er.

FutureMag: Mit dem Campus Melaten entsteht hier in Aachen zurzeit eine der größten Forschungslandschaften Europas, auch eine Art „Silicon Valley“. Was muss man bei der Entwicklung solcher „hotspots“ beachten?

Sawaf: Gute Mentoren – also Personen, die aus der Forschung kommen und viel Erfahrung haben, wie man die Forschung umsetzt – sind essentiell für eine solche Initiative, auch als Kritiker. Vor allem aber sollte die starke Einbeziehung der RWTH beibehalten werden, und das gilt auch umgekehrt. Was wäre Silicon Valley ohne Stanford und Berkeley? Was wären Stanford und Berkeley ohne die erfolgreichen Start Ups in der Gegend?

FutureMag: Danke für das Gespräch.

Das Interview ist zuerst im Alumni-Magazin „keep in touch“ der RWTH Aachen erschienen (Nr. 62, WS 2016/2017).